Text Dr. Anne Katharina Zschocke, erschienen bei Weleda Newsletter
Bakterien als natürliche Partner des Menschen – Seit kurzem vollzieht sich eine Revolution zum Menschenbild in der Medizin: Wir beginnen die Bakterien als natürliche Partner des Menschen zu erkennen, die für die Gesundheit nicht nur beiläufig erforderlich sind, sondern überall die Voraussetzung dazu bilden, dass wir in den wechselhaften Umständen des Lebens als ganze Menschen gesund leben können. Ein neues Organ offenbart sich im Menschen und wird „Mikrobiom“ genannt: die Gemeinschaft aller Bakterien, genau genommen aller Mikroorganismen in ihm.
Bereits vorgeburtlich beteiligen sich mütterliche Bakterien über das Blut an der Entwicklung des Kindes . Mit der Geburt des Kindes gelangen beim Übergang in die äußere Welt die vaginalen und die Mikroben der Geburtsumgebung hinzu, die gemeinsam mit denen, die ihm im Leben fortan begegnen, im Körper allmählich das individuelle Mikrobiom einrichten. Anfänglich entsteht der Eindruck, als würde es sich um ein chaotisches mikrobielles Miteinander handeln, in Wirklichkeit „üben“ die Bakterien am Lebensbeginn gewissermaßen „Gemeinschaftsbildung“, die interessanterweise parallel zur Entwicklung des „Ich-Bewusstseins“ nach dem 3. Lebensjahr vollendet ist – sofern es dabei nicht gestört wurde.
Bakterielle Gene bilden einen Großteil der Funktionen des Körpers aus – Nach über 120 Jahren Bekämpfens der Bakterien entdeckte man, dass bakterielle Gene in Wahrheit einen Großteil der Funktionen des Körper ausbilden. Erst das gesunde Miteinander von Einzellern untereinander und mit den Gewebezellen lässt uns überhaupt Mensch sein. Somit sind beides „Körperzellen“. Sobald Bakterien in Vielfalt oder als Art fehlen, fehlt auch deren gesunde Aktivität. Und Vieles was man bisher „Zivilisationskrankheiten“ nannte, wird mittlerweile als „Mikrobiomerkrankungen“ angesehen, mit völlig neuen Möglichkeiten zur Heilung.
Wie alles beim Menschen ist auch das Mikrobiom an die Lebensrhythmen angebunden. Über die Bakterien erfährt der Mensch für seine Gesundheit sogar in besonderer Weise eine Harmonisierung.
Alle Körperzellen leben rhythmisch aktiv, Gewebezellen wie Einzeller gleicherweise. Bei den zum Immunsystem zählenden Makrophagen konnte man beispielsweise finden, dass sie ihre wirksamen Eiweiße in einem zirkadianen Rhythmus abgeben. Im Inneren von Körperzellen weisen Mitochondrien, die entwicklungsgeschichtlich mikrobieller Herkunft sind, rhythmische Zyklen in Energiehaushalt und Membranaktivität auf.
Mikroben haben eigene Schwingungen – Die Mikroben haben je nach Art eigene Schwingungen, wie man von Cyanobakterien weiß, die beispielsweise einen 24-Stunden-Rhythmus leben. Man hat entdeckt, dass selbst ihre DNA darin pulsiert, das heißt sich in ihrer spiralförmigen Anordnung öffnet oder verknäuelt. Von der Art der DNA-Knäuelung ist jeweils die Genablesung, also die ausgeübte Aktivität abhängig. Auch bei Schimmelpilzen und Hefen findet man Lebensrhythmen.
Diese Einzelschwingungen koordinieren sich im Menschen ausgehend von einer »Zentraluhr« im Zwischenhirn, dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN) des Hypothalamus. Dessen Zellen erhalten Lichtsignale von besonders empfänglichen Netzhautzellen im Auge, über die sie an den zirkadianen Rhythmus angebunden sind, also an die Zyklen des Sonnenlichtes.
Die »Zentraluhr« sendet je nach Sonnenstand Nervenimpulse und Botenstoffe in den Körper, die, vermittelt über Hormone wie Melatonin und Kortisol, alle im ganzen Körper verteilten »Zelluhren« in Einklang bringen. Mit dieser Synchronisation ist der Spiegel des Hormons Kortisol verknüpft, und auch die Immunzellen sind in diese Rhythmen eingewoben.
Wo der Rhythmus im Darmepithel koordiniert wird, hat man bei Mäusen entdeckt: Der Kontakt der Bakterien mit »Empfängern« auf den Epithelzellen sorgt für eine Aktivierung der »Uhr« in den Zellen, die beständig die Bakterienschwingungen und den Tag-Nacht-Rhythmus wechselseitig abgleichen. Fehlen diese Bakterien und ihre Impulse, beispielsweise bei Bakterienmangel, ballaststoffarmer Ernährung oder nach Antibiotikagabe, oder fehlt der Lebensrhythmus, koppeln sich äußere Impulsgeber und Zellrhythmus voneinander ab. Dann kann das Gleichgewicht im Organismus nicht aufrechterhalten werden.
Bakteriengemeinschaft lebt in Rhythmen – Die Bakteriengemeinschaft lebt also in Rhythmen, angebunden an die kosmischen Zyklen. Die Zusammensetzung des Mikrobioms oszilliert im Laufe des Tages, das heißt, seine einzelnen Bakteriengruppen zeigen regelmäßig unterschiedliche Aktivitäten zu den verschiedenen Zeiten. Bakterienübergreifend kommt es in einem 24-Stunden-Zyklus mal zum Überwiegen der einen oder anderen Gesamtaktivität, die mit der Tageszeit regelmäßig verknüpft sind.
Indem die Immunzellen in diese Rhythmen eingewoben sind, öffnen sich darin quasi »Fenster« für größere oder geringere Empfänglichkeit für jegliche Impulse. Bakterien können somit zu unterschiedlichen Tagesphasen – oder Jahreszeiten – das System eher beeinflussen als zu anderen. Bei Mäusen zum Beispiel siedelten sich Salmonellen im Darm zu bestimmten Tageszeiten eher an als zu anderen, und zwar mit verschiedenen Immunreaktionen.
Es schwingen also einzelne Mikroben rhythmisch, Körperzellen schwingen, das Mikrobiom als Ganzes lebt in Zyklen, und alle verbinden sich mit den übrigen Körperrhythmen sowie mit denen der Erde.
Für Gesundheit und Mikrobiomzyklus wichtig: was und wann man isst – Da die Aktivität des Mikrobioms im Darm von der Ernährung geprägt wird, bedeutet jede Mahlzeit tatsächlich einen Impuls in dieses rhythmische System. Es ist für die Gesundheit nicht nur wie landläufig bekannt wichtig, was man isst, sondern auch, wann man es tut, damit es zum Mikrobiomzyklus passt. Werden die Mahlzeiten nämlich wiederkehrend eingenommen, leben auch die Bakterien gemeinsam im Tagesrhythmus – mitsamt ihrer Stoffwechselaktivität. Und mit allen weiteren Beziehungen zwischen ihnen und dem Gesamtorganismus, einschließlich des Hormon- und Nervensystems.
Das Mikrobiom ist in Harmonie oder nicht, abhängig davon, ob es regelmäßig seine Nahrungsimpulse erhält oder in chaotischer Weise. Ein Gutteil der Darmerkrankungen lässt sich wahrscheinlich darauf zurückführen. Ein regelmäßiger Tagesablauf und feste Essenszeiten unterstützen hingegen die Gesundheit. So wie es Herzrhythmusstörungen gibt, gibt es also „Mikrobiomrhythmusstörungen“, auch wenn sie diesen Namen bisher noch nicht tragen.
Rhythmusverschiebungen wie bei Jetlag nach Fernflügen, im Nachtdienst oder bei der halbjährlich erfolgenden Umstellung von »Sommer-« und »Winter«-Zeit führen zu Mikrobiomstörungen, mit langfristigen Risiken zu Erkrankungen. Möchte man diese Folge mildern, kann man die Mahlzeiten zunächst im vorigen Rhythmus beibehalten und sich vorübergehend mit kleinen Portionen begnügen, um sich behutsam an die geänderten Zeiten anzupassen.
Literatur- und Quellenangabe
Mehr zum Thema findet sich im Buch „Natürlich heilen mit Bakterien. Gesund mit Leib und Seele“ AT-Verlag Aarau Oktober 2016 ISBN 978-03800-902-3
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Über die Autorin
Dr. med. Anne Katharina Zschocke ist Ärztin, Freie Fachdozentin und Buchautorin. Sie studierte in Freiburg i. Br. und London, forschte in Immunologie und besuchte das Anthroposophische Ärzteseminar an der Filderklinik. Nach ärztlicher Kliniktätigkeit wechselte sie in den praktischen Gartenbau und die Freiberuflichkeit. Sie gilt international als Pionierin der Bakterienheilkunde.
www.Dr-Zschocke.de / www.Darmbakterien-Buch.de
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